Gebete und Texte zum Nachdenken
Gott ist der Ganz-Andere
Und der Ganz-Andere beginnt dort, wo wir aufhören.
Ihm können wir immer nur am Ende unserer Kräfte begegnen.
In dem vielleicht, was vor der Welt töricht,
für das Gefühl unerträglich,
für den Verstand sinnlos ist.
Im radikalen Kleinwerden,
im Verlorensein, im Untergang
wird der Mensch erst mit dem radikal Großen,
dem Absoluten konfrontiert.
Wir sollten uns hüten, dem leidenden Menschen
diese kostbare Gabe
durch unser frommes Geschwätz wegzunehmen,
ihn mit unseren vordergründigen Argumenten zu betäuben,
bis er sein eigenes Verlorensein nicht mehr erleben kann.
Das würde dazu führen,
dass niemand mehr in der Welt
die Andersheit Gottes erfährt
und damit niemand mehr
die totale Gabe Gottes empfangen kann.
Bis zu diesem Unerträglichsten des Leides
muss jede Existenz kommen,
die Anteil haben will am Ganz-Anderen.
Erst darin öffnet sich die Welt,
vollzieht sich grenzenloser Überstieg,
in dem sich eine neue Welt erschafft,
nicht aus Menschenkraft,
sondern aus der
Ohnmacht des Kreuzes,
die die Kraft Gottes zu sich zieht.
Ladislaus Boros
Herr, lass mich leben
Herr, lass mich sehen die Knospe,
die den Tau des heranbrechenden Tages noch auf sich trägt;
die Baumwipfel, über die sich das strahlende Licht der Sonne ergießt.
Herr, lass mich sehen die Sorge, die Not und die Freude
in den Gesichtern der Menschen;
das befreiende Zulächeln eines Freundes.
Herr, lass mich hören die sanften Klänge der Musik;
das zaghafte Bitten eines Menschen.
Lass mich hören auch das, was der andere nicht ausspricht;
auf die leise, innere Stimme von dir in mir.
Herr, lass mich tasten die weiche Rinde der jungen Bäume;
die sanfte Gebrechlichkeit von dem Stängel einer Blume;
die samtenen Haare einer Raupe,
die an einem Grashalm empor klettert.
Herr, lass mich fühlen die Tränen auf dem Gesicht eines Menschen;
das Bewegen seiner Mundwinkel beim Lachen
und die Furchen, die das Leben in sein Gesicht grub.
Herr, lass mich riechen die besondere Luft des Frühlings,
die mir den Duft von warmer Erde, Apfelblüten und Narzissen entgegenhaucht.
Herr, lass mich riechen die heiße Luft des Sommers,
die mich überströmt vom starken Duft der Blumen;
den Herbst mit seinem Geruch der herabfallenden Blätter;
den Duft von frisch gefallenem Schnee, der alles bedeckt.
Herr, lass mich schmecken den Geschmack des Weines und des Brotes.
Herr, lass mich schmecken, riechen, tasten, hören, sehen.Herr, lass mich leben.
Petra Stephan
Herr, segne meinen Mund,
dass er dich bezeuge,
dass nichts von ihm ausgehe, was verletzt und zerstört,
dass er heilende Worte spreche, dass er Anvertrautes bewahre.
Herr, segne meine Augen,
dass sie die Befürftigkeit wahrnehmen,
dass sie das Unscheinbare nicht übersehen,
dass sie hindurchschauen durch das Vordergründige,
dass andere sich wohl fühlen können unter meinem Blick.
Herr, segne mein Herz,
dass es Wohnstatt sei deinem Geist,
dass es Wärme schenken und bergen kann,
dass es reich sei an Verzeihung,
dass es Leid und Freude teilen kann.
Worte von St. Martin
Zeit und Ewigkeit
Ewige Einheit, die in der Stille für uns singt, die uns voneinander lernen lässt, leite meine Schritte mit Kraft und Weisheit. Möge ich die Lehre verstehen, wenn ich gehe, möge ich den Zweck aller Dinge ehren. Hilf mir, alles mit Achtung zu berühren, immer von dem zu sprechen, was hinter meinen Augen liegt. Lass mich beobachten, nicht urteilen. Möge ich keinen Schaden verursachen und Musik und Schönheit zurücklassen, wenn ich gehe.
Gesang der Aborigines
Engel
Schlafe nicht, Engel, auch wenn dich kaum jemand noch beim Namen nennt. Schlafe nicht, Engel, auch wenn unsere Gedanken längst von dir geschieden sind. Schlafe nicht, Engel, wenn unser Leben sich dem Schutz von Verträgen anvertraut. Sei trotzdem Begleiter, sie dennoch Weggefärte, bleib Wachender über unsere unsichtbaren Schritte, Gottes Bote du, halte deine Hand wie einen Schild schützend über uns. Schlafe nicht, Engel, schenke uns den wachsamen Blick deiner gesegneten Augen.
Hermann Multhaupt
Abgrund
Komme der Tag
eines unwiederruflichen Entschlusses.
Zu einem bestimmten Augenblick
gibt es keinen anderen Ausweg
als in Freiheit zu antworten,
als sich in Gott zu werfen
wie in einen Abgrund.
Verwundertes Staunen:
dieser Abgrund ist Gott.
Er ist nicht bodenloses Dunkel,
sondern ein Abgrund,
in dem die Klarheit
des Auferstandenen leuchtet.
Auferstandener, du nimmst uns mit
unserem Herzen an, wie es gerade ist.
Warum sollten wir, bevor wir zu dir
gehen, erst darauf warten, dass sich
unser Herz ändert? Du verklärst es.
Mit unseren eigenen Dornen
entzündest du ein Feuer.
Die offene Wunde in uns ist die Stelle,
an der du deine Liebe eingießt.
Deine Stimme erklingt und bewohnt
unsere Nacht.
Sein wie Du
Du
Sonne der Welt
Ich möchte sein wie Du
barmherzig und gerecht
zärtlich und stark
voll Zuwendung und Wahrheit
voll Liebe und Nachsicht
Darum bitte ich Dich
Leuchte auf in meinen Augen
Ergieße Dich über meine Lippen
Zeige Dich in meinen Taten
Spiegle Dich in meinen Gedanken
Scheine auf in meinem ganzen Wesen
Mach mich heute zu einer Sonne
in der Du aufgehst über der Welt
Hände hast Du mir gegeben
Du
Kraft über mir
Du
Kraft der Geschichte
Du
Kraft in mir
Hände hast Du mir gegeben
und Geist
Gefühl und Energie
Ich will heute tun, was dem Menschen dient
Ich will
mit meinen Händen ein Stück Welt gestalten
mit meinem Geist die Möglichkeiten ertasten
mit meinem Gefühl das Rechte erspüren
mit meiner Energie alle Hürden überwinden
Lass mich erleben
dass ich Anteil habe an Dir
Du
göttliche Kraft
Friedensgebet
Ich bat Gott
Schlafe, mein Prinzchen
Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.
Dass du lebst, kann leider nicht sein.
Nicht Liebe ließ dich ja entstehn,
nein, du warst doch nur ein Versehn,
von keinem gewollt und geliebt.
Am besten, wenn es dich nicht gibt.
Was sein muss, das muss nun mal sein.
Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.
Schlafe, mein Prinzchen, sei still.
Wer kann denn schon, wie er will?
Schau doch die Welt, die so schlecht,
nirgends gilt Würde und Recht.
Bäume stehn sterbend im Wald.
Ach, und die Menschen sind kalt.
Weil ich das alles nicht will,
schlafe, mein Prinzchen, sei still.
Väter und Mütter, sagt nein!
Schläfert die Prinzen nicht ein!
Tötet nicht Leben im Schoß!
Türmt nicht die Schuld riesengroß.
Bringt soviel Unschuld nicht um,
nur, weil ihr glaubt, sie sei stumm.
Hört die Millionen doch schrein!
Väter und Mütter, sagt nein!
Von Diakon Werner Kießig
Zum Leben geboren
Hab‘ keine Antwort auf die Frage:
"Woher nimmst du den Mut,
in diese Welt ein Kind zu setzen?"
Alles was ich weiß ist,
dass ich irgendwie ein kleines Stück mehr
Hoffnung hab‘ auf morgen,
seit es dich gibt, mein Kind.
Zum Leben geboren,
dem Glück anvertraut,
der Zukunft versprochen,
die niemand durchschaut.
Wo wird sie hingehn, deine Reise,
die eben erst begann?
In dieser Zeit der vielen Zweifel,
die uns niemand nehmen kann.
Alles was ich weiß ist,
dass mir irgendwas mit einem Mal
mehr Kraft verleiht zum Kämpfen,
seit es dich gibt, mein Kind.
Mit dir will ich ab jetzt noch einmal
die Welt entdecken gehen,
die kleinen Wunder dieser Erde
mit deinen Augen sehn.
Alles was ich weiß ist,
dass ich irgendwann begonnen hab‘,
die Angst zu überwinden,
und darum gibt es dich, mein Kind.
von Rolf Zuckowski
Ich bat Gott um Stärke,
damit ich es schaffe...
Ich wurde schwach gemacht,
damit ich lernte, demütig zu gehorchen.
Ich bat um Gesundheit,
damit ich größere Dinge tun könnte.
Mir wurde Gebrechen gegeben,
damit ich bessere Dinge tun konnte.
Ich bat um Reichtüber,
damit ich glücklich sei.
Ich erhielt Armut,
damit ich weise werde.
Ich bat um Macht,
damit ich der Menschen Ruhm erhalte.
Ich erhielt Ohnmacht,
damit ich das Bedürfnis nach Gott spüre.
Ich bat um alle Dinge,
damit ich mich an meinem Leben erfreute.
Mir wurde das Leben gegeben,
damit ich mich an allen Dingen erfreue.
Ich erhielt nichts, worum ich gebeten hatte,
jedoch alles, worauf ich gehofft hatte.
Schon fast trotz meiner selbst
fanden meine unausgesprochenen Gebete Antwort.
Ich bin unter allen Menschen
am reichsten gesegnet!
Während des Amerikanischen Bürgerkriegs in die Wand eines Militärgefängnisses eingekratzt.